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Die taz hat zur WM eine Kolumne mit dem kreativen Titel Vuvuzela, welche von Deniz Yücel geschrieben wird. Gestern erschien die Kolumne unter dem Titel „Meine Damen und Herren! Sorry, liebe N.!“ (Ich werde diese rassistische Sprache aus nachfolgenden Gründen hier nicht reproduzieren. Im Orginal steht das Wort natürlich ausgeschrieben.). Daraufhin begann eine Diskussion in den Leserkommentaren. Die Debatte dreht sich um Satire und Rassismus, Humor und political correctness. Die Argumente sind nicht neu und nur wenige speziell auf diesen Fall zutrefend. Darum nutze ich dieses Beispiel, um einige Gedanken festzuhalten.

1. Argument: „N.“ bedeutet doch einfach nur „schwarz“ – Was habt ihr also?

An irgendeinem Punkt in der Diskussion rund um das Wort N.  kommt dieses Argument immer. So auch bei den Kommentaren zur taz-Kolumne. Der Leser/ die Leserin führt sogar noch die Wortherkunft auf, um den Punkt zu stärken.

Davon abgesehen, dass es bei der Benutzung von Begriffen auch um Deutungsmacht geht (dazu später mehr), wird hier ein Teil der Geschichte des Wortes als Argument genutzt und der Rest der Geschichte einfach ignoriert. N. ist untrennbar mit der Sklaverei und Kolonialismus verbunden. In dem Wort klingt ein ganz bestimmtes ideologisches Denkmuster mit, welches Menschen auf ihre Pigmente beschränkt, darüber Identitäten konstruiert und diese hierarchisch anordnet (allgemein Rassissmus genannt). Diese Konnotationen kann man nicht vom Wort trennen. Eben deshalb darf man jemanden, der eine/n Schwarze/n als N. bezeichnet, Rassisten nennen (Urteil des Amtsgerichtes Schwäbisch Hall).

Wer mehr über dieses Wort und andere Begriffe erfahren möchte, empfehle ich „Afrika und die deutsche Sprache“ herausgegeben von Susan Arndt und Antje Hornscheidt.

2. Argument: Der parodiert doch nur die BILD.

Ja ja, so eine BILD-Parodie ist ein totaler Spaß. Vor allem für den Autor/ die Autorin. Einmal so richtig vom Leder ziehen. Witze, die sonst zu flach scheinen, können endlich mal gebracht werden. Und nicht differenzieren zu müssen, ist wirklich sehr entspannend. Aus diesen Gründen nutzen Schülerzeitungen diesen Stil hin und wieder sehr gern. Aber muss darum eine Tageszeitung mit bezahlten Mitarbeitern das ganze über mehrere Wochen ziehen? Hören Witze mit der Wiederholung nicht auf witzig zu sein (Gegeben der Fall, dass sie jemals witzig waren)? Und rechtfertigt das überzogene Nachahmen von diskriminierenden Inhalten das Wiedergeben solcher Inhalte? Meiner Meinung nach nicht. Viele meiner Argumente werde ich noch auflisten. Hier aber schonmal ein erstes: Die taz zeigt also eine WM-lang, wie sie die BILD-Berichterstatung (und das Stammtischgeschwätz vielleicht) auffasst. Ja. Sollte die taz-Redaktion nicht annehmen, dass ihre Leserschaft eine gewisse Meinung zur BILD-Berichterstattung hat? Muss man diese Berichterstattung also nachspielen? Nein. Und damit wäre der harmloseste Vorwurf an die taz: Langweilig! Aber gut, langweilig bleibt es ja leider nicht allein. Weiter also zum Thema Rassissmus und Co.

3. Argument: Der Titel ist doch nur eine Anspielung auf ein Zitat. Ihr versteht einfach nicht.

Ganz knapp: Nur weil es bereits jemand anderes gesagt hat, wird es nicht besser! (Die Hintergründe des Zitates erörtere ich hier mal nicht, vielleicht hole ich das irgendwann mal nach).

4. Argument: Doofe political correctness – Man kann sich da ja nicht immer dranhalten.

Zu erst: Ich mag den Ausdruck „political correctness“ nicht besonders. Irgendwie impliziert er, dass es noch andere  Korektheiten gibt. Ein Begriff der also nicht „political correct“ ist, könnte vielleicht „private correct“ sein?

Aber um diese Diskussion und Gedanken geht es bei dem Argument natürlich nicht. Hier geht es um Deutungsmacht. Und diese möchte ungern abgegeben werden. Es gibt viele Strategien, um die Deutungshoheit zu wahren. Z.B. „Ich kenne aber jemanden, der den Begriff nicht diskriminierend findet“. Ich bin natürlich in erster Linie für das Selbstbezeichnungsrecht eines jeden, aber von einer Person auf eine ganze Gruppe zu schließen spricht genau gegen dieses Selbstbezeichnungsrecht, denn das Recht für die Bezeichnung liegt plötzlich wieder bei demjenigen/ derjenigen, der/die „jemanden kennt“. Eine weitere Taktik: „Man muss auch mal entspannen können/ locker bleiben.“ Auch hier stellt der/die Redner_In sich über andere. Das eigene „Recht auf Entspannung“ steht über dem Recht anderer, nicht diskriminiert zu werden. Dabei will mir einfach nicht einleuchten, warum nicht-diskriminierende Aussagen anstrengender ausszusprechen seien sollen als ihre diskriminierenden Pendants…

Die „political correctness“-Debatte bezieht sich natürlich nicht nur auf Rassissmus, sondern auch auf Witze/Sprüche/Aussagen über andere marginalisierte Bevölkerungsgruppen.

5. Argument: Satire darf alles!

And again (ja es wird etwas repetetiv): Deutungsmacht. Wer bestimmt denn, dass Satire alles darf? Warum ist das eine nichtzuhinterfragende Aussage?

6. Argument: Ihr habt einfach keinen Humor!

Ich glaube schon, dass ich manchmal lustig bin. Vielleicht sogar öfter. Und ich lache sehr gern und sehr viel. Ich sehe es aber nicht ein, dass Witze auf dem Rücken von anderen gemacht werden müssen. Rassissmus ist für mich nie lustig. Da bin ich dann vielleicht der Spielverderber.

Und zum Schluss…

Meinungsfreiheit und nicht-diskriminierende Sprache schließen sich NICHT aus. Warum sollte es?

Wer den Artikel der taz lesen möchte, findet ihn hier.

20 Kommentare zu “Satire darf alles? – Über Rassismus, political correctness und Humor

  1. Pingback: Nachtrag: Satire und Rassismus « Afrika Wissen Schaft

  2. Was mich wirklich fassungslos macht ist, das es immer noch Leute gibt die das „N…. heißt doch nur schwarz!“-„Argument“ ernsthaft benutzen.
    Ich glaube nicht das diese Leute, wenn man sie als „Arschlöcher“ bezeichnen würde und ein „Was habt ihr denn? Ist doch eine wichtige Körperöffnung, die wir alle haben!“ nachschieben würde, so überzeugt von der Erkärung wären. Und dabei ist „Arschloch“ „nur“ eine Beleidgung und nicht untrennbar mit Rassismus verknüpft.

    Danke das Du dir die Arbeit gemacht hast, die ganzen Pseudoargumente zu zerflücken, als ich über die taz-Kolumne gestolpert bin, konnte ich nur noch resignierend den Kopf senken. 😦

    • Vielen Dank für deinen Kommentar 🙂 Ich bin auch immer wieder geschockt und dann vor allem sehr wütend.
      Sicher hätte ich auch noch mehr Argumente auseinandernehmen können, oder die vorhandenen noch besser (wenn also jemand noch mehr dazu beizutragen hat, nur her damit!) – Aber das hier ist das, was ich in meinem ersten Wutanfall spontan runter geschrieben habe. Es freut mich, dass diese Arbeit trotzdem gewertschätzt wird 🙂

  3. Glücklich gemacht hat mich gerade deine Erklärung zum Thema „Deutungshoheit“ bzw. mal „entspannen dürfen“ – genau das habe ich letztens nicht formulieren können, als ich es versucht habe (und mich „mal locker machen“ sollte, wie so oft).

    Zu der „Satire darf alles“-Sache – ähm – üblicherweise beziehen sich die Leute, die das sagen, auf Tucholskys Text „Was darf die Satire“, von dem sie allerdings nur die letzten paar Worte „Was darf die Satire – alles“ kennen. Ihnen zu empfehlen, sich mal den ganzen Text durchzuleseen ist evt. von solchen Leuten zu viel verlangt – ein Hinweis, dass sie aus dem Kontext heraus zitieren, und dass auch Tucholsky (wieso darf der das überhaupt bestimmen?) damit nicht sagen wollte, dass Satiriker_innen grundlegend alles dürfen, sollte genügen.

    Außerdem bleiben sie schließlich den Beweis schuldig, dass der Schwachsinn (mit Verlaub), den sie produzieren, sich Satire nennen darf. Die TAZ blamiert sich gerade wirklich nicht zum ersten mal (siehe vorangegangener Unfug in „die Wahrheit“) zu diesem Thema, und die Autor_innen beweisen eindrucksvoll, dass sie keine Ahnung davon haben, was Satire ist, und davon, was es heißt, dass sie weiß sind.

    Zudem: Es war schon von Anfang an nicht klar, wer sich hier über was lustig macht und worüber wir hier eigentlich lachen sollen. Geht es nicht letztlich darum, mit einem dreisten Grinsen das N-Wort (das für den Gag überhaupt nicht benötigt wird) vorzutragen und damit nicht Witz, sondern Aufmerksamkeit zu schaffen? Geht es nicht einfach darum, zu sagen: Schaut her, was wir uns rausnehmen, ist das nicht lustig. Nein, ist es nicht. Sorry.

    Oder, um es mit Tucholsky zu sagen:

    „Satire scheint eine durchaus negative Sache. Sie sagt: „Nein!“ Eine Satire, die zur Zeichnung einer Kriegsanleihe auffordert, ist keine. Die Satire beißt, lacht, pfeift und trommelt die große, bunte Landsknechtstrommel gegen alles, was stockt und träge ist.

    Satire ist eine durchaus positive Sache. Nirgends verrät sich der Charakterlose schneller als hier, nirgends zeigt sich fixer, was ein gewissenloser Hanswurst ist, einer, der heute den angreift und morgen den.“

    • Vielen Dank für diesen langen und wirklich großartigen Kommentar (Da weiß man dann, warum man bloggt und nicht nur allein vor sich hin kritzelt!)! Deine Ausführungen zu „Satire darf alles“ sind wirklichen eine schöne Ergänzung. Ich gebe gerne zu, dass mir bei dem Punkt dann langsam die Puste ausgegangen war (und die Zeit).

  4. Dieses “Sehr verehrte Damen und Herren,… liebe…” stammt angeblich von Wilhelm Lübke und ich denke, dass der Autor der Kolumne dies benutzte und in eben diesem Jargon weiterschwurbelte, um zu verdeutlichen, wie primitiv und rassistisch das Denken und Niveau der meisten deutschen Stammtisch-Fussballfans heute immer noch ist.

    Er versucht, ihnen einen Spiegel vorzuhalten.

    So habe ich zumindest diese Kolumne verstanden.

    Mir bereiten all die „schwarz-rot-geilen“ mehr Probleme – und sie machen mir auch Angst – als die Kolumne, in der sich der Autor meines Erachtens nach über diesen Rassismus und Nationalismus – spiegelbildlich – auskotzt.

  5. Pingback: Die Taz bewirbt sich auch 2010 um den Preis “rassistischste Mainstreampublikation Deutschlands” | DER SCHWARZE BLOG

  6. „Eine Satire, die zur Zeichnung einer Kriegsanleihe auffordert, ist keine.“, schrieb Kurt Tucholsky über Satire. Weiter schreibt Tucholsky: „Vor allem macht der Deutsche einen Fehler: er verwechselt das Dargestellte mit dem Darstellenden.“

    Also wenn Deniz Yücel einen rassistischen Kommentar geschrieben hat, dann stellt sich die Frage, ob Satire alles darf gar nicht, denn es wäre keine.

  7. Pingback: Lesen für das Gewitter « kiturak

  8. Pingback: Rassismus im Zuge der WM « Afrika Wissen Schaft

  9. Pingback: Alltagsrassismus – eine Frage der Hautfarbe - Asatru zum selber Denken - die Nornirs Ætt

  10. @Reflektor*in und Thomas: Ersteinmal ein dickes fettes Entschuldigung, dass ich erst jetzt reagiere. Aber in den letzten Wochen war viel zu tun (Semesterendsstress oder so) und ich war froh, wenn ich schnell neue Beiträge noch online stellen konnte. Auf eure Kommentare wollte ich nur antworten, wenn ich auch Zeit habe wirklich etwas zu schreiben und nicht nur ein „Jo“ hinzuklirren 😉

    @ Reflektor*in: Was der Autor eigentlich will, habe ich ja ähnlich wie du interpretiert, nur erreicht er für mich das Ziel nicht dadurch, dass er rassistische Äußerungen tradiert und das auch noch vor einem Publikum, welches eh eher weniger „dieser“ Kategorie Fußballfans zugeordnet werden kann. Darüberhinaus war die von mir konkret kritisierte Kolumne bereits die 13. Folge, wovon alle in eine ähnliche Richtung schlugen. Da verstehe ich dann beim besten Willen den Sinn nicht mehr. Außerdem möchte ich mich sonst Zoes Argumentation anschließen.

    Eine Debatte, wen oder was ich „schlimmer“ finde, würde ich ungern aufmachen. Es gibt viele Dinge in der Welt (oder auch konkret verbunden mit Fußball), die ich als kritisch ansehe. Diese Probleme würde ich ungern hierarchisieren, da man dabei Gefahr läuft, Probleme klein- oder wegzureden, die zwar für einen selbst nicht oberste Priorität haben, aber für andere genau das entscheidende sind.

    @ Thomas: Danke für deinen Kommentar. So kann man das natürlich auch argumentieren 🙂 Vielleicht hätte ich etwas anders formulieren sollen. Ich denke gerade drüber nach und bin noch nicht ganz zu einem Entschluss gekommen. Aber ich denke du hast Recht, wenn ein Text gegen bestimmte Regeln verstößt, kann man ihn auch einfach NICHT einer bestimmter Kategorie zu ordnen. Mir ging es vor allem darum, dass immer wieder gern etwas als Satire bezeichnet wird, um unter diesem Deckmantel allen möglichen sonst nicht „politisch korrektem“ Kram zu veröffentlichen.

  11. Pingback: Warum “Blackface” nicht lustig ist… « Afrika Wissen Schaft

  12. Zu der Frage „Wer bestimmt denn, dass Satire alles darf?“ – Kurt Tucholsky.
    Eine so kurze Antwort auf eine so lange Polemik.

  13. Pingback: Die taz und Rassismus – They did it again…. « Afrika Wissen Schaft

  14. puhhh, ich bin keine taz-lerserin, weil ich finde, dass dieses druckwerk schon länger mit der bürgerlichen (vermutlich previligierten-aber nicht unbedingt weissen-) bevölkerungsschicht anbendelt. sozialpolitisch und allgemeinpolitisch. trotzdem war ich überrascht, dass man dort jetzt auch auf mutmaßliche rassistische inhalte trifft. das geht eindeutig nicht, ABER satire darf nicht beschränkt werden. trotzdem müssen betroffene auf etwaige verletzungen hinweisen dürfen und „macher“ von derartiger satire SOLLEN das auch respektieren!

  15. Pingback: Von wegen reaktionäre Kulturwüste: Deutschland gewinnt Realsatire-Preis! | kiturak

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