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SoSe2010 „Geschichte der Strafe in Afrika: Die Frage, die die beiden hier betrachteten Texte bewegt, ist, ob man eine Kontinuität zwischen den Verbrechen gegen die Herero und Nama in Südwestafrika und den Verbrechen des Dritten Reiches ziehen kann. Hat der Kolonialkrieg erst die folgenden Verbrechen denkbar und somit möglich gemacht? Oder ist er eher im gesamten kolonialen Kontext zu sehen?

Jürgen Zimmerer ist Historiker mit den Arbeitsschwerpunkten (Post-)Kolonialgeschichte, Vergleichende Historische Genozidforschung, deutsche und portugiesische Geschichte und Europavorstellungen im 20. Jahrhundert. Der Aufsatz „Krieg, KZ und Völkermord in Südwestafrika. Der erste deutsche Genozid“ ist Teil des Buches „Der Kolonialkrieg (1904-1908) in Namibia und seine Folgen“ und stellt die These auf, dass es zwischen dem Kolonialkrieg 1904-1908 und dem Holocaust während des Dritten Reiches Kontinuitäten gibt.

Stephan Malinowski und Robert Gerwarth stellen diese These in ihrem Zeitschriftenaufsatz „Der Holocaust als „kolonialer Genozid“? Europäische Kolonialgewalt und nationalsozialistischer Vernichtungskrieg“ in Frage. Malinowski ist ebenfalls Historiker. Seine Dissertation 2003 „Vom König zum Führer. Sozialer Niedergang und politische Radikalisierung im deutschen Adel zwischen Kaiserreich und NS-Staat“ wurde ausgezeichnet. Gerwarth schrieb seine Dissertation über den Bismarck-Mythos und unterrichtet neuere deutsche und europäische Geschichte an der Universität Oxford. Gemeinsam argumentieren sie, dass viele Fakten gegen die Kontinuitätsthese von Zimmerer und anderen sprechen.

Nach Jürgen Zimmerer ist der Krieg gegen die Herero und Nama ein entscheidender Schritt zum nationalsozialistischen Vernichtungskrieg. Zimmerer begründet, dass viele Strukturen des Krieges während des Dritten Reiches ebenso verwandt werden. Der Kolonialkrieg war laut ihm in seinen Einzelheiten bekannt und im Wissen verankert. Er will nicht den Genozid an den Herero und Nama mit dem Holocaust gleichsetzen, aber doch Parallelen ziehen (so zum Beispiel anhand der Worte und Konzepte „Konzentrationslager“ und „Völkermord“). Zimmerer sieht als Gemeinsamkeit die Bereitschaft eine „bestimmte Gruppe von Menschen zu vernichten“ (Zimmerer, S. 62). Für ihn ist der Krieg gegen die Herero und Nama ein Tabubruch, welcher erst den Holocaust, mit all seinen unterschiedlichen Ausprägungen im Vergleich zu Südwest-Afrika, denkbar machte.

Malinowski und Gerwarth argumentieren in ihrem Essay gegen diese Kontinuitätsthese. Sie weisen das stark verankerte Bewusstsein zu den Kolonialkriegen in der Zeit des Dritten Reiches zurück. Sie legen des Weiteren nah den völkerrechtlichen Begriff des Genozids nicht für historische Vergleiche als Instrument verwenden. Vielmehr fordern sie eine Ursachenforschung. Eine zentrale These Zimmerers ist der Tabubruch im deutschen Kolonialkrieg. Malinowski und Gerwarth plädieren für eine Einordnung des Krieges gegen die Herero und Nama in einen „Gesamtkontext kolonialer Gewaltpraxis“ (Malinowski u.a., S.465). In diesem wirken die Vorgehensweisen nicht mehr wie ein erstmaliger Tabubruch, welcher dann weiter in einer Kontinuität zum Dritten Reich gelesen werden kann, sondern als eine gängige Praxis. Sie stellen heraus, dass diese Einordnung, dass Verbrechen keineswegs geringer wirken lässt, sondern „die Gesamtbilanz des europäischen Kolonialismus allerdings in einem dunklerem [Licht]“ (Malinowski u.a., S. 465).

Mit der Ergänzung des Essays von Malinowski und Gerwarth eröffnen sich also einige Kritikpunkte an der Arbeit von Zimmerer. Diese richtet sich vor allem an die Einordnung des Geschehens und dessen Bewertung. Der Text bleibt aber eine detaillierte Schilderung der Geschehnisse um den Krieg gegen Herero und Nama.

Literatur

Zimmerer, Jürgen. 2004. „Krieg, KZ und Völkermord in Südwest-Afrika. Der erste deutsche Genozid“, in: Zimmerer, Jürgen und Joachim Zeller (Hg.), Der Kolonialkrieg (1904-1908) in Namibia und seine Folgen. Ch. Links Verlag: Berlin, S. 45-63.

Malinowski, Stephan und Robert Gerwarth. 2007. „Der Holocaust als „kolonialer Genozid“? Europäische Kolonialgewalt und nationalsozialistischer Vernichtungskrieg.“, Geschichte und Gesellschaft, Ausg. 33, S. 439-466.

3 Kommentare zu “Rückwirkungen des kolonialen Lagers?

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