SoSe2010 „Geschichte der Strafe in Afrika“: Das Semester ist quasi vorrüber (die Vorlesungszeit ja schon etwas länger), drum möchte ich nach und nach nochmal die Beiträge zu den verschiedenen Kursen des letzten Jahres zusammenfassen. Ich hoffe, dass so die Themen etwas übersichtlicher aufbereitet sind (und mir leider auch aufzeigen, bei welchen Seminaren ich unglaublich wenig geschrieben habe 😀 ). Aber fangen wir mit einem gut dokumentierten Seminar an: „Geschichte der Strafe in Afrika (20. Jahrhundert)“.
Zur Einstimmung: Meine Beschreibung der ersten Sitzung und der kleinen Odyssee zu meinem Reader.
Dann folgte der inhaltliche Einstieg mit Foucault und seinen Thesen aus „Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses“, einem der einflussreichsten modernen Werke zur Thematik. Foucaults Werk von 1975 beschäftigt sich mit der Entstehung und Durchsetzung des Gefängnisses als monopolistische Strafform in Europa, wobei sich Foucault bei seinen Ausführungen vor allem auf Frankreich bezieht. Dabei beschreibt er die Unterschiede und Übergänge von Strafen unter Sozveränitätsmacht und Disziplinarmacht. Unter erstere gab es Strafformen wie die öffentliche Hinrichtung, unter zweiterer setzte sich vor allem das Gefängnis durch. Foucault fragt sich nun in seinem Werk, wie es zu diesem Wandel gekommen ist und warum sich das Gefängnis, obwohl es nie „geliebt“ wurde, durchsetzen konnte und kann. Dazu stellt er das Strafsystem in einen weiteren ökonomischen und gesellschaftlichen Kontext. Für Foucault sind die neuen Strafmechanismen Ausdruck eines gesamtgesellschaftlichen Disziplinierungssystems.
Doch kann man Foucaults Thesen auch auf Afrika übertragen? Damit beschäftigten wir uns in der nächsten Sitzung: „Foucault in Afrika?„. Anhand des Aufsatzes „Tensions of Colonial Punishment: Perspectives on Recent Developments in the Study of Coercive Networks in Asia, Africa and the Carribbean“ von Taylor Sherman und einem Auszug aus der Autobiografie Nelson Mandelas sind wir dieser Frage nachgegangen und konnten uns auf ein klares „Jain“ einigen. Beide Texte zeigen auf unterschiedlicher Art und Weise, dass es durchaus Thesen und Ansätze gibt, die für bestimmte Vorgänge fruchtbar als Analyserahmen sein können. In anderen Fällen kann dies aber auch genau konträr sein. Kritik an dem Text Mandelas habe ich nochmal seperat in einem Nachtrag beschrieben.
Nach dieser ersten theoretischen Rahmung haben wir uns verschiedenen Straf-Beispieln zugewandt.
- Der koloniale Ursprung der Prügelstrafe
- Strafen im Ausnahmezustand: Vom kolonialen Gefängnis zum Lager
- Strafen in der Familie: Gewalt gegen Kinder
Bei den Beispieln ging es um ganz unterschiedliche Aspekte von Strafe. Den kolonialen Ursprung von Prügelstrafe haben wir am konkreten Beispiel Togos betrachtet. Trutz von Trotha hatte die These aufgestellt, dass Techniken der Disziplinierung nicht endgültig ausgemustert werden, sondern in bestimmten Kontexten wieder aktiviert werden können. Im kolonialen Kontext wurde auf die Prügelstrafe zurückgegriffen, da sie dem Despotismus der kolonialen Ordnung entspricht. Hier wurde also auch ganz konkret gegen Foucault argumentiert.
Zur Thematik kolonialer Gefängnisse diskutierten wir Caroline Elkins Doktorarbeit mit dem programmatischen Titel „Imperial Reckoning – The Untold Story of Britain’s Gulag in Kenya“. In dem Buch zeigt Elkins anhand von Archiv-Recherchen und vor allem durch mehrere Hundert Interviews das Niederschlagen des Mau Mau Aufstandes in Kenia durch die Briten. Dabei vergleicht sie die Gefangenenlager mit sowjetischen Gulags. Ihre Thesen haben, wie man bei dem von ihr angestrebten Vergleich, erahnen kann, viele Diskussionen ausgelöst.
Die Hinwendung zu Strafen in der Familie brachte nochmals einen ganz neuen Fokus. Oftmals erleben Kinder ein ganzes Spektrum von Strafen innerhalb ihren Familien, im weiteren Sinne, oder Schulen im Zuge ihrer Erziehung. Murray Last, Professor mit Schwerpunkten auf vorkolonialer Geschichte von islamischen und nicht-islamischen Gesellschaften im nördlichen Nigeria und Jugendkultur im urbanen Kano, beschäftigt sich in seinem Aufsatz „Children and the Experience of Violence: Contrasting Cultures of Punishment in Northern Nigeria“ aus dem Jahr 2000 mit körperlicher Strafe gegen Kinder im nördlichen Nigeria. Dabei untersucht er die Fragestellung, wie es in einer Gesellschaft zu einer sehr unterschiedlichen Einschätzung und Handhabung von körperlicher Strafe kommen kann.
Neben diesen Betrachtungen konkreter Strafszenarien in Afrika sind wir auch der Frage nachgegangen, ob man eine Kontinuität zwischen den Verbrechen gegen die Herero und Nama in Südwestafrika und den Verbrechen des Dritten Reiches ziehen kann. Hat der Kolonialkrieg erst die folgenden Verbrechen denkbar und somit möglich gemacht? Malinowski und Gerwarth argumentieren in ihrem Essay gegen diese Kontinuitätsthese. Sie weisen das stark verankerte Bewusstsein zu den Kolonialkriegen in der Zeit des Dritten Reiches zurück. Sie legen des Weiteren nah den völkerrechtlichen Begriff des Genozids nicht für historische Vergleiche als Instrument verwenden. Vielmehr fordern sie eine Ursachenforschung. Eine zentrale These Zimmerers ist der Tabubruch im deutschen Kolonialkrieg. Malinowski und Gerwarth plädieren für eine Einordnung des Krieges gegen die Herero und Nama in einen „Gesamtkontext kolonialer Gewaltpraxis“ (Malinowski u.a., S.465). In diesem wirken die Vorgehensweisen nicht mehr wie ein erstmaliger Tabubruch, welcher dann weiter in einer Kontinuität zum Dritten Reich gelesen werden kann, sondern als eine gängige Praxis. Sie stellen heraus, dass diese Einordnung, dass Verbrechen keineswegs geringer wirken lässt, sondern „die Gesamtbilanz des europäischen Kolonialismus allerdings in einem dunklerem [Licht]“ (Malinowski u.a., S. 465).
In den letzten Sitzungen haben wir uns dann mit eher neueren Phänomen der Strafe zugewandt, so wie der sogenannten „Street Justice„. Beide vorliegenden Texte beschäftigen sich mit der sogenannten ‚Street Justice‘ am Beispiel Südafrika. ‚Street Justice‘ beschreibt eine Strafform, die jenseits des Staates liegt, die durch nicht staatlich befugte Bürger „auf der Straße“ vollzogen wird. Auf die Frage in wie weit es sich tatsächlich um Strafmaßnahmen, als Sanktionen für ein ganz konkretes Fehlverhalten, handelt und ob diese Aktionen spontan ausgeführt werden, haben die Texte verschiedene Antworten.
Abschließend haben wir uns mit den durch die EU unterstützend/gewollten/etc Flüchtlingslagern in Afrika befasst – Also jenen Lager, in denen Flüchtlinge, welche nach Europa gelangen wollen, festgehalten werden und von wo aus, sie wieder abgeschoben werden. Bei dieser Betrachtung ist gerade im Fazit nochmals deutlich geworden, dass die Geschichte der Strafe in Afrika im 20. (und 21.) Jahrhundert nur schwer von Europa zu trennen ist – und auch umgekehrt! So lassen sich mit den gewonnen Erkenntnisse natürlich auch Rückschlüsse auf Foucaults Thesen hinsichtlich Europa ziehen (siehe zum Beispiel die Prügelstrafe durch Kolonialmächte in Afrika).
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