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Vor einigen Wochen war ich bei einem Vortrag zu „Women in Revolution: Political Leadership in Africa“ von Minna Salami. Es ging dabei auch um (feministische) Zusammenarbeiten über Ländergrenzen hinweg. Im Frageteil im Anschluss meldete sich eine junge Frau schräg vor mir. Sie gab zu Protokoll, dass sie vor einiger Zeit in Ghana gewesen sei und dort in einem Projekt gearbeitet habe. Während ihres Aufenthalts fielen ihr viele patriarchale Strukturen negativ auf. Sie hatte nun mit den Frauen darüber reden wollen. Sie sagte (grob zitiert nach meiner Erinnerung): „Ich erzählte ihnen, wie emanzipiert wir hier wären. Aber sie haben einfach über mich gelacht. Wie können wir denn da zusammenarbeiten?“

An diese Szene musste ich denken, als ich heute vormittag den Panorama-Beitrag „Abiturienten als Entwicklungshelfer: sinnlose Kurztrips ins Elend“ ansah. In diesem sehenswerten acht-minütigem Clip wird das Geschäft mit Freiwilligen dargestellt. Ganz konkret geht es um Agenturen, die (für ordentliche Summen) Trips zu Projekten anbieten. Vor allem wenden sie sich an Abiturient_innen in Deutschland, die in den Monaten zwischen Abitur und Studienbeginn noch etwas Engagement einschieben möchten. Und so heißt es auf einer Messe:

Wer was Gutes tun möchte, wo vielleicht die soziale Komponente im Lebenslauf noch fehlt, wir haben ein Kinderheim in Indien, was wir betreuen […], da gibt es ganz tolle Sachen.

Engagement für den Lebenslauf und die Suche nach der besten Bühne

Agenturen wie praktikawelten und TravelWorks verkaufen die Illusion innerhalb von vier Wochen wichtige Beiträge an Schulen, in Kinderheimen oder anderen Einrichtungen leisten zu können. Und dies sei natürlich nicht nur gut für die Menschen vor Ort, sondern auch für die Zukunft des_der Freiwilligen. So schreibt praktikawelten über die Motivation:

Immer mehr Jugendliche nehmen sich meist nach dem Abitur eine Auszeit, um sich für das Abi und das viele Lernen zu belohnen und sich auch Gedanken zu machen, wie es für sie in der Zukunft weitergehen soll. Ausbildung oder Studium? Wirtschaft, Technik, Sozialarbeit oder eher Sprachen? Es gibt viele Alternativen was du in dieser Zeit machen kannst, eine besonders sinnvolle und garantiert lehrreiche Möglichkeit ist eine Freiwilligenarbeit im Ausland!

[…]

Die bei einer Freiwilligenarbeit gewonnenen Qualifikationen werden sich in deinem späteren Arbeitsleben durchaus positiv niederschlagen, sowohl in der Wahrnehmung der Umwelt als auch im täglichen Arbeitsalltag.

Diese Rhetoriken kommen natürlich nicht allein von den Agenturen. Sie nutzen nur jene, die eh schon vorhanden sind in einem neoliberalen Wirtschaftssystem, welches Leistung ganz klar definiert und bereits Schüler_innen dazu anhält Aktivitäten danach zu wählen, wie sie in einem Lebenslauf vorteilhaft (also besonders marktkonform) erscheinen. Und viele Jugendliche habe diese Argumente aufgenommen, so sagt eine Schülerin in dem Panorama-Beitrag:

Die Welt rückt heute ja immer mehr zusammen, wird immer globaler. Und wenn man dann Auslandserfahrungen, vor allem im Bereich Englisch, mitbringt, hat man, finde ich, in so ziemlich allen Berufsfeldern bessere Chancen da rein zu kommen.

Für diese potentielle Freiwilligen gilt es nun also eine perfekte Bühne für ihr Engagement auszuwählen und dies ist das große Geschäft der Agenturen. Besonders geeignet zur Selbstinszenierung weißer, europäischer Retter_innen scheinen Projekte mit Kindern. Die Webseiten beider Anbieter sind quasi überflutete von der typischen Darstellung nicht-weißer Kinder, die hoffnungsvoll in die Kamera blicken oder eine Helferin (meist sind es junge, weiße Frauen) glücklichstrahelnd umringen. (Diese Bilder und deren Folgen wurden bereits ausführlich im Film White Charity analysiert.) Und für wen die Bildersprache zu subversiv ist, schreibt praktikawelten auch noch einmal konkret in ihren allgemeine Werbetext zu Freiwilligenarbeit, wo es also eigentlich gar nicht direkt um die Projekte mit Kindern geht:

Erlebe mit einer Freiwilligenarbeit die Herzlichkeit und Offenheit der Kinder, die dir für deine Hilfe mit strahlenden Augen und glücklichen Gesichtern danke sagen.

Das Projekte mit Kindern sich besonderer Beliebtheit erfreuen, wie auch in dem Panorama-Beitrag erzählt wird, ist kein Zufall. Kinder gelten an sich als „unschuldig“, sie können nichts für ihre Position und von ihnen wird eine „reine“ Dankbarkeit vorausgesetzt. Soziale Projekte, in denen Erwachsene unterstützt werden, scheinen da komplexer, ist da für Freiwillige doch viel unklarer, ob sie die „Richtigen“ unterstützen, was wenn Erwachsene in Not irgendwie „selbstverschuldet“ dort sind. (Komplexe Zusammenhänge von Kolonialsmus, Versklavungshandel, Wirtschaftspolitiken etc. wird eh in keinem Fall hinterfragt oder überhaupt thematisiert.) Da wird die positive Aussage auf dem Lebenslauf gleich unsicherer. Kinder helfen kann hingegen einfach nicht falsch sein. Kaum eine_r würde sich trauen offen zu sagen, dass Kinder keine Unterstützung verdient hätten – selbst in neoliberalen, kapitalistischen Argumentationen.

Doch auch die reelen Erfahrungen mit den Kindern sind natürlich nicht immer so, wie sie die Freiwilligen sich erhoffen und wie sie von den Agenturen, aber auch den Plakaten anderer „Hilfsorganisationen“ versprochen werden. So bemerkt eine Volunteer verärgert:

Wir finden schon die sind nen bißchen verwöhnt, die Kinder, weil halt ständig neue Freiwillige kommen. Sie sind nicht wirklich dankbar.

In Afrika kann jede_r helfen

Egal, was die Motivationen für den geplanten Aufenthalt sind (welche sicher auch immer Misch-Motivationen sind), etwas anderes ist sehr auffällig. Und dies bringt mich auch zurück zu der eingangs geschilderten Szene. An keiner Stelle wird in Frage gestellt, ob die jungen Menschen, die gerade einmal ihren Schulabschluss gemacht haben, überhaupt irgendwelche relevanten Qualifikationen für Unterstützungen mitbringen.

Es wird ein kolonial_rassistisches Bild weitergeschrieben, nach dem allein die Herkunft aus Europa und möglichst weiß-Sein reicht, um Menschen in afrikanischen Ländern zu sagen, wie Dinge gemacht werden. Die Agenturen verkaufen dieses Bild ganz stark, wenn sie zum Beispiel extra betonen, dass Freiwillige eigene Schulklassen unterrichten könnten und dies auch ohne Vorkenntnisse ganz einfach sei. In der Realität sind die tatsächlich für ihren Job ausgebildeten Lehrkräfte dann nicht immer überzeugt. Eine Freiwillige berichtet:

Ich frage oft, kann ich was helfen, kann ich was abnehmen, kann ich jetzt eine Matheaufgabe machen. ‚Ja nee, du weiß jetzt nicht wie wir das machen und du kommst ja eh aus Deutschland und ihr macht das eh anders, darum lass uns das jetzt so machen.‘ Die nehmen das halt nicht an, was ich vorschlage oder was ich sage, also die Lehrer an sich. Ja und das ist schon sehr verärgerlich.

Mit keiner Silbe bedenkt sie, ob es nicht auch relevant sein könnte, was die Lehrer_innen für Erfahrungen mit Unterrichtsgestaltung unter den gegebenen Umständen und Freiwilligen, von denen sie ja teilweise im Zwei- Wochentakt mit neuen „innovativen“ Ideen konfrontiert werden, haben. (Denn auch Nachhaltigkeit steht sicher nicht im Fokus der Programme.)

So wie die Frau bei der Diskussionsveranstaltung mit Salami nicht wirklich ihre Analyse und ihr eigenes Wissen hinterfragte, so müssen auch die Freiwilligen kaum ihren Status hinterfragen. Die Agenturen bauen ihr Geschäfft darauf auf, dass sie den potentiellen Freiwilligen immer wieder klar machen, dass deren Wissen und deren Können wertvoll und wichtig ist. Weiße, europäische Schüler_innen und Absolvent_innen können ihre Erfahrungen und Gedanken als Standard setzen. Und diese Agentur-Versprechen stehen natürlich auch in einem deutschen gesamt-gesellschaftlichen Kontext, in dem bestimmte Wissensproduktionen als wichtiger angesehen werden als andere, in dem afrikanische Menschen selten als handelnde Personen auftauchen, in dem soziale_ökonomische Probleme meistens nach „Außen“ geschrieben werden.

Und wenn es dann in einem Image-Film heißt „Hier im tiefen Afrika habt ihr die Gelegenheit den Europäer hinter euch zu lassen.“, spätestens dann wird hunderprozentig klar, dass es hier an keiner Stelle um das Aufbrechen und Hinterfragen bestehender Ungleichverhältnisse geht, sondern diese als exotisierte Selbsterfahrungskulisse für Europäer_innen, die es sich leisten können, herhalten. Dann macht es auch Sinn, dass Freiwillige gar enttäuscht sind, wenn diese Kulisse nicht alles bietet, was sie für diese Erfahrung benötigen:

Lisa: „Ich dachte, ok, ich komm in ein Waisenhaus, die Kinder gehen nicht zur Schule und ich hab hier wirklich von früh bis spät viel zu tun, aber das ist einfach nicht der Fall.“ Frage: „Was ärgert dich daran?“ Lisa: „Ja, das ich einfach nicht das erfüllen kann, was ich mir erwartet habe, also den Kindern noch mehr beizubringen, mit den Kindern noch mehr zu machen.“

Fazit

Im Teaser zur Freiwilligenarbeit in Kapstadt schwärmt TravelWorks, in einem Stil, den sie viel auf der Webseite verwenden, nämlich eine direkte Ansprache mit dem „du“, in der fiktive, ergreifende Situationen geschildert werden – schon vor der Abreise rhetorisch mitten drin:

Du sprichst mit einem Mädchen, von dem Du weißt, dass es schwer misshandelt wurde. Du kannst den Kummer in ihren Augen sehen, doch Du merkst auch, wie gut ihr die Zeit tut, die Du ihr widmest. Sie lächelt Dich ein wenig an und Du weißt, dass Du genau diesen Moment lange in Erinnerung behalten wirst. (Hervorhebung von mir)

Die Notlage des Mädchens ist vollkommen irrelevant, was zählt ist die Erfahrung des_der Freiwilligen, der_die Zertifikat, T-Shirt und einige herzzereißende Anekdoten erhält. Zwei Wochen später wird ein_e andere_r Freiwillige_r da sitzen, die Geschichte hören und sich freue, dass er_sie „etwas gutes für die Welt“ getan hat.

Mehr zu(r Kritik an) Entwicklungszusammenarbeit findet ihr im Film Entiwicklungshilflos?, der aus einem von AfrikaWissenSchafts-Autorin Stefanie Reuter gegebenen Projekttutorium heraus entstand.

Hinweis: Ich habe mich hier im Text auf Afrika beschränkt, da ich dazu zum einen am ehesten etwas zu schreiben kann und außerdem auch der Panorama-Text Beispiele von Projekten in Ghana im Fokus hatte.

2 Kommentare zu “In Afrika kann jede_r helfen (und was für den CV tun)

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