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Nicht einmal zwei Monate ist es her, da machte ein Video im Internet Furore. Innerhalb von Tagen kam mensch nicht mehr vorbei an Kony2012, Bekannte posteten das Video im Minutentakt auf FB, die zur Kampagne gehörenden Hashtags führten die Twittercharts an und die Medien berichteten. Die US-NGO Invisible Children hatte einen Coup gelandet. Bis heute wurde das Video mehr als 100 Millionen Mal angesehen (Allein der Original-Upload bei Youtube 88.391.981 Mal bei meinem letzten Check).

Besonders begeistert schienen mir gerade jene Menschen, die mir sonst weniger aufgefallen waren durch politisches Interesse und/oder Aktivismus (natürlich mit Ausnahmen!). Scheinbar wollten sie am liebsten gleich aufspringen und den ugandischen Kriegsverbrecher Jospeh Kony, der durch die Kampagne bis Ende 2012 gefasst werden soll (durch (westliche) Aufmerksamkeit, you know), selbst aufspüren. Jedenfalls versprühten sie entsprechenden Pathos. Doch was passierte wirklich und was bleibt?

Die Kritik an dem Film

Nicht alle, die sich das Video ansahen, konnten die Begeisterung teilen. Schnell folgte eine große Kritikwelle, denn zu kritisieren gab es hier vieles zum einen direkt an der NGO und zum anderen an dem Video.

Die kleine Ethnologin hat auf ihrem Blog viele der Kritiken sehr gut zusammengefasst. So schreibt sie:

StopKony ist keine gute advocacy, sondern badvocacy, da sie suggeriert, die Menschen in Norduganda bräuchten nur genügend Aufmerksamkeit aus dem Westen um die vermeintlichen Probleme zu lösen.

Einige Kritikpunkte sollen hier nur als Stichworte genannt werden: falsche Fakten zum Konflikt, vereinfachtes Afrikabild, diskriminierende Darstellung von Afrikaner_innen, weißer Retter Syndrom, unklare Geldflüsse bei der NGO, Verbindungen der NGO etc.

Weitere Links:

Und auch wer Kritik in Videoform möchte, wird nicht enttäuscht, sondern findet u.a. die ugandische Journalistin Rosebell Kagumire:

„Aber wenigstens tun sie etwas!“ – Kritik an der Kritik

Erstaunlich war, wie doch das weiterleiten bzw. liken eines einzigen Videos bereits das Erhabenheitsgefühl vieler anhob. Auf der anderen Seite aber auch nicht überraschend, denn genau für diesen Effekt wurde das Video schließlich gemacht: Es sprach junge, (meistens weiße) priviligierte Leute im Westen an. Die Botschaft: Ihr seid so wichtig, dass wenn ihr mal kurz klickt die Welt eine bessere wird. Die Argumente der Kritik an den Kritiken waren dabei eher einfach:

a) Eure Kritik ist destruktiv. Ihr solltet konstruktiver sein.

b) Wenigstens machen die Leute (die das Video weiterleiten) etwas.

c) In der Zeit, in der die Kritiken verfasst wurden, hättet ihr längst aktiv werden können/ sollen.

Aber wie soll mensch so ein Debakel wie Kony 2012 konstruktiv kritisieren? Gerade, wenn ich irgendwo diskriminierende Inhalte in dieser Masse sehe, muss mensch auch mal sagen: „Das packen wir jetzt weg. Das war scheiße aus folgenden Gründen. Punkt.“. Aber in der ganzen Argumentation zeigt sich, „Aktivismus“ – egal welcher Art – ist besser als keiner. Das mit solcher Art von Aktivismus aber auch auf vielen Ebenen Schaden angerichtet werden kann, wird vollkommen ignoriert. Denn den Schaden haben in den seltensten Fällen die Aktivist_innen, die aber fühlen sich einfach gut „was zu machen“. Und weil sie sich so gut fühlen wird auch das liken und unkritische Verbreiten des Videos als Aktivismus gesehen, dass arbeitsaufwändige Recherchieren und Schreiben, welches für einen kritischen Beitrag nötig ist, aber nicht.

Der zweite Film (Was es gab einen zweiten Film?) und die Aktionsnacht (Was es gab eine Aktionsnacht?)

Scheinbar als Antwort auf die massive Kritik folgte dann ein zweiter Film von Invisible Children. Doch da war es schon längst vorbei mit der Aufmerksamkeitsspanne der Möchtegern-Weltretter_innen. Auch hier hat wieder die kleine Ethnologin eine gute Analyse veröffentlich, die ich allen empfehle zu lesen. Ihr Fazit:

Teil 2 ist also weniger emotional (daher wohl auch weit weniger erfolgreich), in Augen von KritikerInnen immer noch nicht ausreichend, und beinhaltet wenig Neues oder Überraschendes.

Am 20.04 sollte dann ja das vorläufige Highlight, nämlich das Übertragen des Online-Aktivismus auf die Straße folgen: In der Nacht war geplant, dass alle Aktivist_innen Plakate der Kampagne in ihren Städten aufhängen und so für weitere Aufmerksamkeit sorgen. Der Guardian titelt „Kony 2012 Cover the Night fails to move from the internet to the streets“ [Kony 2012 Cove the Night schaft nicht den Schritt vom Internet auf die Straße] und zitiert einen Tweet „Kony is so last month“ [Kony ist so letzter Monat]. Genau das aber musste passieren. Eine Kampagne, die nicht wirklich auf Informationen und somit auch langfristige Bindung an das Thema, sondern allein auf schnelle Emotionen setzt, wird eben kurz hochgejazzt und dann vom nächsten großen Gefühl nahtlos ersetzt. In diesem Fall finde ich das nicht einmal mehr traurig (aus all den bekannten Kritikpunkten). Nur wäre es doch wünschenswert, wenn die vielen Menschen, die sich haben angesprochen gefühlt, in Zukunft nicht immer als westlicher weißer Heiland hofiert werden müssen, nur um sich einem Thema anzunehmen, sondern dass hoffentlich einige von ihnen anfangen die Kritiken sorgfältig zu lesen und daraus einen eigenen, langanhaltenden Aktivismus zu entwickeln. Ein Anfang wäre doch das eigene Afrikabild zu reflektieren und zu überdenken.

Literatur

Für all jene, die sich wirklich mit der Thematik „Kindersoldat_innen in Uganda“ auseinandersetzen wollen, habe ich hier eine (sehr kleine) Auswahl an wissenschaftlichen Publikationen.

Allen, Tim/Vlassenroot, Koen (Hrsg.) (2010): The Lord’s Resistance Army. Myth and Reality. London (Zed Books)

Annan, Jeannie/Blattman, Christopher (2007): “On the Nature and Causes of LRA Abduction. What the Abductees Say”. In: Allen, T. & Vlassenroot, K. (Hrsg.): The Lord’s Resistance Army: War, Peace and Reconciliation in Northern Uganda. London (Zed Books): 132-155. URL: http://chrisblattman.com/documents/research/2009.Nature& Causes.LRAbook.pdf

Annan, Jeannie/Brier, Moriah/Aryemo, F. (2009): “From ‘Rebel’ to ‘Returnee’. The Reintegration of Young Soldiers in Northern Uganda”. In: Journal of Adolescent Research Vol. 24: 639-667. URL: http://jeannieannan.com/files/Annan-Reintegration- paper.pdf

Annan, Jeannie/Blattman, Christopher/Carlson, K./Mazurana, D. (2010): “Civil War, Reintegration, and Gender in Northern Uganda”. In: Journal of Conflict Resolution. URL: http://www.chrisblattman.com/documents/research/2010.CivilWarReintegration Gender.pdf

Apio, Eunice (2007): “Uganda’s Forgotten Children of War”. In: Carpenter, R. Charli (Hrsg.): Born of War: Protecting Children of Sexual Violence Survivors in Conflict Zones. Bloomfield (Kumarian Press): 94-109

Beber, Bernd/Blattman, Christopher (2011): The Logic of Child Soldiering and Coercion. Yale/New York (Yale University/New York University). URL: http://chrisblattman. com/documents/research/2011.LogicOfChildSoldiering.pdf

Behrend, Heike (1998): “War in Northern Uganda. The Holy Spirit Movements of Alice Lakwena, Severino Lukoya & Joseph Kony (1986-1997)”. In: Clapham, Christopher (Hrsg.): African Guerrillas. Kampala (Fountain Publishers): 107-118

Dodge, Cole P. (1986): “Child Soldiers of Uganda. What Does the Future Hold?”. In: Cultu- ral Survival Quarterly Vol. 4, No. 31

Dunn, Kevin (2004): “Killing For Christ?. The Lord’s Resistance Army of Uganda”. In: Current History. A Journal of Contemporary World Affairs: Africa Vol. 103: 206-210

Finnström, Duke (2008): Living with Bad Surrounding. War, History, and Everyday Moments in Northern Uganda. The Cultures and Practice of Violence. Durham (Duke University Press)

Hovil, Lucy/Lomo, Zachary (2004): Behind the Violence. The War in Northern Uganda (ISS Monograph 99). Pretoria (Institute for Security Studies). URL: http://www.iss.co.za/ pubs/Monographs/No99/Contents.html

Rhodes, Abigale (2009): What to Do Next? An Examination of Child Soldiering in Northern Uganda and Recommendations for the Future. Georgia (University of Georgia)

Rodríguez Soto, Carlos (2009): Tall Grass. Stories of Suffering and Peace in Northern Uganda. Kampala (Fountain Publishers)

Rosow, Sina (2009): Lost Childhoods and Lost Futures. A Critical Analysis of Child Soldier Reintegration in Northern Uganda. Manchester (University of Manchester)

Ruaudel, Héloise/Timpson, Andrew (2005): Situation Report. Northern Uganda. From a Forgotten War to an Unforgivable Crisis. The War Against Children. Pretoria (Institute for Security Studies). URL: http://dspace.cigilibrary.org/jspui/bitstream/ 123456789/31294/1/051212UGANDA.pdf?1

Stavrou, Aki/Veale, Angela (2003): Violence, Reconciliation and Identity. The Reintegration of the Lord’s Resistance Army Child Abductees in Northern Uganda (ISS Monograph 92). Pretoria (Institute for Security Studies). URL: http://dspace.cigilibrary.org/jspui/ bitstream/123456789/31367/1/Mono92.pdf?1

Vermeij, Lotte (2009): Children of Rebellion. Socialization of Child Soldiers within the Lord’s Resistence Army. Oslo (Norwegian Institute of International Affairs)

 

6 Kommentare zu “Erinnert ihr euch noch? Damals. Dieses Kony2012.

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