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We are Afropolitans – Africans of the World

Bevor Taiye Selasi ihren ersten (und ich nehme es gleich vorweg: großartigen!) Roman Ghana Must Go (dt.: Diese Dinge geschehen nicht einfach so) veröffentlichte, kannte die Welt sie schon als die Frau, die den Begriff „Afropolitan“ prägte. Afropolitans, schreibt sie in ihrem Essay „Bye-Bye Babar”, das sind „Africans of the world“, eine Generation junger, erfolgreicher Schwarzer Menschen, die auf der ganzen Welt zu Hause sind und ihre Wurzeln auf dem afrikanischen Kontinent haben. Taiye Selasi ist so eine Afropolitan, ebenso wie die von ihr erschaffenen Figuren und Geschwister Taiwo, Kehinde, Olu und Sadie – Vater Ghanaer, Mutter Nigerianerin, geboren und aufgewachsen in den USA, wohnhaft mal hier mal dort. Alle vier sind jung, erfolgreich, schön: die intelligente und am Klavier begabte Taiwo, ihr Zwillingsbruder und international erfolgreiche Künstler Kehinde, der große Bruder Olu, erfolgreicher Arzt, und Sadie, die jüngste und schlaueste, die ihr besonderes Talent erst im Laufe des Buches erkennt.

Einen verhedderten Faden aufdröseln

Aber sie sind nicht nur jung, erfolgreich und schön. Jede_r der Geschwister, ebenso wie ihre Eltern, Fola und Kweku (in der deutschen Ausgabe „Kwaku“, warum auch immer), werden von Taiye Selasi als komplexe Persönlichkeiten gezeichnet, geprägt von Widersprüchen und Brüchen.

Kweku, ein erfolgreicher Chirurg, „der beste auf seinem Gebiet“, verlässt seine Frau Fola und die vier Kinder aus Scham, sein Versagen zuzugeben (das hier nicht näher erläutert werden soll). Die Geschichte beginnt sechzehn Jahre später als Kweku eines Morgens an „gebrochenem Herzen“ (meint Kweku, die Ärzte sagen Schlaganfall) stirbt. Dass das nicht „einfach so“ geschieht, wie der deutsche Titel vermutet, finden wir auf den nächsten hundert Seiten heraus, in denen Kweku sich an Situationen seines Lebens erinnert, die seinem Herzen Brüche zufügten. Im zweiten Teil erfahren Fola, Olu, Taiwo, Sadie und Kehinde, örtlich aber auch emotional voneinander getrennt seit Kweku sie verlassen hat, von seinem Tod. In kapitelweise wechselnden Fokalisierungen lernen wir die Figuren und ihre individuellen Brüche kennen. Olu, der Angst davor hat, zu lieben, aus Angst diese Liebe wieder zu verlieren; Taiwo, die sich seit Kwekus Abgang von ihren Eltern verraten und nirgendwo zu Hause fühlt; Sadie, die anders aussieht als ihre Geschwister, sich deshalb hässlich findet und immer außen vor fühlt; und Kehinde, der sich nie von seinem Vater angenommen gefühlt hat und dem es seit einem traumatischen Erlebnis mit seiner Zwillingsschwester schwer fällt zu leben. Das Schweigen über diese Wunden wird durch Kwekus Tod endlich gebrochen, als die Familie zu seiner Beerdigung im dritten Teil zusammen kommt und über die lang verdrängten Konflikte spricht: „Es ist fast so, als wenn irgendwo ein Faden heraushängt und man daran zieht oder er sich irgendwo verheddert und alles sich aufdröselt.“

Die Weigerung, Dinge zu vereinfachen

„Perhaps what most typifies the Afropolitan consciousness“, schreibt Selasi in ihrem Essay, „is the refusal to oversimplify.” Diese Weigerung, Dinge zu vereinfachen spiegelt sich nicht nur in den komplexen Figuren Selasis wider. Ihre Sprache ist bombastisch, angehäuft mit Metaphern über Licht, das auf Tautropfen „glitzert, blinzelt und kichert, wie Schulmädchen, die verlegen verstummen, wenn der Liebste sich nähert.“ Die Erzählstimme wechselt ihre Perspektive ebenso mühelos und wiederholt wie der Ort und die Zeit des Geschehens. Und manchmal verliert Selasi sich in Details, deren Relevanz dem/der Leser_in nicht ganz klar ist – aber, wie Kehinde uns aufklärt: Es ist ein „Irrtum zu glauben, die Details seien unbedeutend.“

Vor allem aber nimmt Selasi es mit der Komplexität der Ungleichverhältnisse race, class und gender auf, die sie in die Geschichte der Familie Sai als strukturgebende Elemente einwebt. Sie bestimmen, was die Figuren ersehnen, wonach sie streben, was sie lieben, wer sie sind. Kweku hat sich einen unsichtbaren Kameramann engagiert, der „schweigend sein Leben filmt. Oder: Das Leben des Mannes, der er sein möchte und der er nicht mehr werden wird.“ Denn es ist wichtig zu verstehen, dass unter anderem „alles zerfällt“ (ein nicht unbedeutender Verweis der Autorin auf Chinua Achebes Roman Things Fall Apart) weil Kweku denkt, als Mann immer filmreif sein zu müssen und nicht versagen, nicht weinen, nicht schwach sein zu dürfen.

Und immer wieder geht es um Körper. Die schöne Taiwo kann mit ihrem Körper nichts anfangen und würde ihn ihrer Schwester Sadie, die sich einen eben solchen wünscht, liebend gerne geben. Sadie findet sich selbst hässlich, weil sie „weder lang, noch gerade oder hell“ ist, wie die weißen Mädchen in ihren Ballett-Stunden. Olu beneidet Kehinde für sein Aussehen. Kehinde dagegen, der ebenso wie Taiwo die grünen Augen seiner weißen Großmutter geerbt hat, würde gerne so aussehen wie Sadie oder Olu, weil sie „den Menschen ähnlich sehen, von denen sie kommen: Olu eine dunklere Fola, klassisch Yoruba, Sadie ein heller Kweku, klassisch Ga.“ „Ich liebe dein Gesicht, Sadie“ sagt er. „Du kannst es  haben“, sagt sie.

Diese Dinge geschehen nicht einfach so/Ghana Must Go ist die detailreich geschmückte, erzählerisch und stilistisch komplexe, Geschichte jeder einzelnen der Figuren, die sich durch den Verlust ihres Vaters und Geliebten einzeln und als Ganzes verlieren und wieder finden. Denn letztlich geht es darum, sich in dem Geflecht der Elemente selbst zu finden: „If nothing else“, schreibt Selasi, „the Afropolitain knows that nothing is neatly black or white; that to ‚be‘ anything is a matter of being sure of who you are uniquely.“

Taiye Selasi. Ghana Must Go. A Novel. Penguin Press, New York 2013, 320 pages, bd., $25,95.

Taiye Selasi. Diese Dinge geschehen nicht einfach so. Roman. Aus dem Englischen von Adelheid Zöfel. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013, 400 Seiten, geb., 21,99 Euro.

Taiye Selasi. „Bye, Bye Barbar”, LIP Magazine, 3. März 2005.

2 Kommentare zu “Buchrezension: „Ghana Must Go“ / „Diese Dinge geschehen nicht einfach so“ von Taiye Selasi

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