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Auch vor Geisteswissenschaftler_innen macht sie nicht halt: Der Wahn ums Perfektionieren des Lebenslaufes. Vielleicht ist der Wahn tatsächlich in den Geistes- und Sozialwissenschaften besonders groß, bekommen doch alle Jahre lang eingebläut, dass sie etwas NutzlosesTM  studieren. Da wird dann also zu den Regionalstudien BWL als Beifach gewählt („Dann kann so interkulturelle Kommunikation in Firmen machen“), oder endlose Praktikas in Verlagen absolviert, alternativ in politischen (bestenfalls internationalen) Organisationen/Gremien/etc.

Das möchte ich auch prinzipiell niemanden vorwerfen (und bei einigen decken sich diese Auswüchse auch sicher mit den tatsächlichen Interessen und Zielen), trotzdem plädiere ich dafür sich nicht bei jedem aufkeimenden Interesse zu fragen, wie das in das bisher entworfene Bild passt, was es nützt, sondern einfach mal zu machen.

Nach einigen Jahren des „wirren Interessensverfolgen“ kann ich mittlerweile bilanzieren, dass es Zusammenhänge gibt, die oftmals gar nicht so offensichtlich sind, wo dann aber plötzlich eine ganze Reihe, der bisher eher getrennt betrachteten Themen zusammenlaufen können. Auf solche Momente kann mensch gar nicht gezielt hinarbeiten/lernen. Um so erfreulicher sind sie. Beispiele gefällig?

Burma Boy von Biyi Bandele

Ein Roman eines afrikanischen Autors mit einem afrikanischen Protagonisten, der in Asien spielt? Nicht so häufig. Dann auch noch Burma. Ich habe im B.A. unter anderem 2 jahre lang Myanmar (die Sprache) studiert. Im M.A. habe ich mich auf afrikanische Literaturen spezialisiert. Hier kommt tatsächlich beides zusammen und macht das Verständnis des Romans natürlich um einiges einfacher.

Notes from a Trip to Russia von Audre Lorde

Hier wird es jetzt wirklich lustig. Ich finde Zentralasien sehr spannend. Ich habe einmal einen Monat in Uzbekistan bei einem Intensivsprachkurs (Uzbekisch) verbracht und bin etwas herumgereist. Das ich mich für afrikanische Literaturen interessiere, habe ich ja schon deutlich gemacht. Außerdem beschäftige ich mich seit langem mit Feminismus. Audre Lorde aber habe ich gar nicht erst über dieses Interesse kennengelernt, sondern über das Lesen von „Farbe bekennen“, einem Buch über Schwarze in Deutschland und insbesondere Schwarze deutsche Frauen (Lorde hatte dieses Buch mit angestoßen).

Der hier genannte Aufsatz ist aus dem Jahr 1976 (und ist in „Sister Outsider“ abgedruckt). Audre Lorde (Interessens-Check [x]) schreibt über ihre Teilnahme als Beobachterin an der African-Asian Writers Conference ([x]). Dabei beschreibt sie aber vorallem auch ihre Reise und die führt sie ins heutige Uzbekistan ([x]). Meine Kenntnisse zu allen Themenbereichen/Personen haben mich den Text zum einen sehr viel interessierter lesen lassen, aber auch kritischer (ihre Uzbekistan-Beobachtungen).

Ich bin mir sehr sicher, dass ich solche Verknüpfungen in Zukunft noch oft anstellen kann (hoffentlich mit noch mehr oberflächlich „wirren Interessen“). Es wird mich zu interessanten Erkenntnissen führen. Und ich habe Spaß.

7 Kommentare zu “Ein Plädoyer für „wirre Interessen“

  1. Pingback: Mädchenmannschaft » Blog Archive » Flashmob für Pussy Riot, die Zustände in Altenheimen und Größe 36 – die Themen der Blogschau

  2. Ja, geht mir auch so – deswegen studiere ich auch Kulturwissenschaften, was ja quasi von Natur aus ein wilder Mix ist. Allerdings muss man sich selbst wirklich oft sagen: mach das einfach mal, egal, ob es ins Modul passt, häng ein Semester mehr dran usw., weil sich hier inzwischen alle gegenseitig einreden, sie müssten möglichst ohne Umwege und schnell fertig werden. Sehr furchtbar. Erst durch „sich-treiben-lassen“ entstehen ja neue Gedanken und Verknüpfungen.

  3. Danke, es ist schlimm genug, sich immer rechtfertigen zu müssen, am „Markt vorbei“ studiert zu haben…

  4. Pingback: Lesenswertes und gedankenanregendes « Muetzenmaedel's Blog

  5. Wenn ich mitbekomme, wie (junge) Leute, die zum Teil noch vor der Studienwahl stehen, sich im Vorfeld schon stressen mit wann-werd-ich-fertig und macht-das-sinn, ist mir immer danach laut zu schreien.

    Frauen*, Männer*, macht, was euer Herz möchte und fahrt einen Gang runter. Genießt die geistige Freiheit, schnuppert mal rechts, mal links, und atmet durch.

    Mich hat der andere Weg – das zu tun, was „sinnvoll“ ist bzw. das, was meine Eltern wollten, irgendwann im tiefsten Herzen unglücklich gemacht.

    Wir brauchen euch und wirre Interessen! Hört nicht auf damit <3.

    Ich bin jetzt 34 und überlege, ob ich noch ein Fernstudium in einer (oder mehreren) Geisteswissenschaften anfange. Allen, die mir mit "in DEINEM Alter" oder "mach doch dann was, womit du etwas anfangen kannst" oder "brotlose Kunst" ankamen, habe ich den imaginären Stinkefinger gezeigt.

    Macht das auch! 😉

    In diesem Sinne: Tolles Plädoyer, mehr davon!

  6. Am Anfang meines Studiums hörte ich in meiner Heimatstadt Hamburg ziemlich oft die gut bekannte Parole „Bis’n bekloppt oder wa?“ als ich mich für ein Studium im München entschieden hatte, welches sich zusammengesetzt hat aus: DaF als Hauptfach, Ethnologie und Pädagogik im Nebenfach. Nach München zu reisen um unpraktisches Blödsinn zu studieren – so war die Meinung meiner Freunde.
    Nun bin ich schon nach dem Studium und zweifelte keine Sekunde lang an meiner Wahl – mache es heute auch nicht. Ich bin mit meinem Job hoch zufrieden, was eine Vielzahl meiner BWL-Kollegen kaum von sich sagen kann. Von daher – „wirre Interessen“ zahlen sich aus – es hängt ausschließlich vom Menschen ab, ob man in der Lage ist etwas draus zu machen oder nicht.. Gruß!

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