Heute nun der dritte Teil meiner kleinen Négritude-Reihe. Die politisch, ideologische Seite von Senghors Négritude wandelte sich mit der Zeit und seinem stärkeren politischen Engagement zusehends. Ich versuche hier knapp einige Aspekte aufzuzeigen und wesentliche Gedanken herauszustellen.
Senghors politische Anfänge
Bis 1943 glaubte Senghor fest an die politische Assimilation. Darin sah er auch keinen Widerspruch zu den Aussagen seines literarischen Schaffens. In einem seiner ersten politischen Aufsätze beschrieb er das koloniale Problem als nicht viel mehr als ein Provinzen-Problem. Im Jahr 1944 kam Senghor zu seinem ersten offiziellen, politischen Amt. Er wurde Abgeordneter für die Monnerville Kommission. Ab 1945 nahm Senghor seine nächste Funktion wahr, diesmal als gewählter Repräsentant Senegals für die französische Nationalversammlung.
Durch Senghors immer weiteres Engagement als Politiker, änderte sich auch seine Rhetorik der Négritude. War die Négritude anfangs ein Ventil für Eliten gewesen, versuchte Senghor sie in den 1960igern als Präsident umzuformen und auch die Massen anzusprechen. Grundlegende Ideen blieben aber erhalten. Irele beschreibt die Zusammenhänge zwischen literarischen und nicht-literarischen Texten Senghors:
The non-imaginative writings of French-speaking Negro intellectuals to a great extent run parallel to the literature. They are determined by the same sentiments, and are consequently, in the main, a formulation in direct language of the attitudes expressed in symbolic terms in the imaginative writings. The distinction lies in the fact that, whereas the literary works simply express these attitudes, the non-literary writings formulate and define them. (Irele 1993, S. 17)
Die Themen seines ideologischen Schreibens
Doch neben dieser Unterscheidung, erkannte Irele auch Themenausprägungen, die divergieren. Für das ideologische Schreiben benannte er folgende Topi: Konstruktion der Afrikaner und Afrikas als Gegensatz zu Euopa und den Europäern, Spiritualität und die afrikanische Gesellschaft als eine Erweiterung der „mystischen Familie“.
Die Konstruktion Afrikas
Der erste Punkt ist Kern des Wirkens Senghors und entspricht der politischen Ausarbeitung der literarischen Suche nach den eigenen Werten. Die weiteren beiden Punkte können auch unter diesen untergeordnet werden. Senghor versuchte in seinem nicht-literarischen Schreiben zum Teil mit Hilfe wissenschaftlicher Erkenntnisse ein Afrika-Bild positiv neu zu besetzten. Dabei nutzte er auch modernistische, europäische Ansätze zur afrikanischen Geschichte und übernahm das Bild des „pristine, unchanging land of the „noble savage,“ which occupied the role of Europe’s Other“ (Harney 2004, S. 40).
Zur Beschreibung der Afrikaner_innen und Afrikas nutzte er in erster Linie Gegensätze zu Europa und deutete rassistische Bilder positiv um. So weist Senghor zum Beispiel auf kreative Arbeiten, um zu die einzigartige Sensibilität der Afrikaner_innen aufzuzeigen und verweist insbesondere auf das Rythmusgefühl.
Die âme négre und die Spiritualität der Afrikaner_innen
Auch die Idee der âme négre, welche er aus der afroamerikanischen Literatur heraus entwickelt hatte, versuchte Senghor wissenschaftlich zu untermauern. Er begann über die physiopsychologie du negre zu schreiben. Die âme négre zeichnete sich nach Senghor auch gerade durch eine besondere Religiösität und Spiritualität aus. Diese Spiritualität und mystische Konzeption der Welt ist für ihn das größte Geschenk der Afrikaner_innen und was sie auszeichnet. Er erklärt es mit einer engen Verbindung zur Natur.
Die gesellschaftliche Organisation
Irele argumentiert, dass, da für Senghor Négritude nicht nur eine Philosophie, sondern auch eine praktische Sicht auf das Leben gewesen sei, er seine Theorie von der afrikanischen Persönlichkeit ausgweitet hätte, um afrikanische soziale Organisation zu erklären. Nach Senghor sei die afrikanische Gesellschaft eine Erweiterung der so genannten mystischen Familie, welche die Summe aller Personen, tot oder lebendig, darstellte, die einen gemeinsamen Vorfahren anerkannten. Somit mache die afrikanische Gesellschaft auch eine religiöse Komponente aus, es ginge um eine Gemeinschaft der Seelen. Auch hier wird der Kontrast zur westlichen Kultur aufgemacht: Diese würde sich auf das Individuum stützen, wohingegen die afrikanische Kultur die Gruppe im Kern hätte. Irele merkt zu dieser Konzeption an: „Senghor’s theory of negritude is not really a factual and scientific demonstration of African personality and social organisation, but rather a personal interpretation.“
Weitere ideologische Konzepte Senghors
Aus diesen Grundelementen speisten sich auch weitere Konzepte Senghors, die hier nur kurz benannt werden sollen. Der Fokus auf die innewohnende Spiritualität veranlasste Senghor den atheistischen Materialismus des Marxismus abzulehnen und eine „afrikanische“ Form des Sozialismus zu entwickeln.
Ab den 1960ern entstand außerdem die Idee der civilisation de l’Universal. Senghor argumentierte:
I would like to emphasize at this point how much these characteristics of negritude enable it to find its place in contemporary humanism, thereby permitting black Africa to make its contribution to the “Civilization of the Universal” which is so necessary in our divided but interdependent world of the second half of the twentieth century. (Senghor 2007, S. 199)
Das Konzept brachte beides, Négritude und die französischen Kultur, zusammen und ist in Senghors Bemühen um einen frankophonen Zusammenhalt zu sehen, der auch auf seine Entwicklungsbestrebungen zurückzuführen ist. Senghor hoffte durch kulturelle Affinität ein stabiles Netzwerk aufzubauen.
Literatur
Harney, Elizabeth. 2004. In Senghor’s Shadow. Art, Politics, and the Avant-Garde in Senegal, 1960-1995. Duke University Press: Durham.
Hymans, Jacques Louis. 1971. Léopold Sédar Senghor. An Intellectual Biography. Edinburgh University Press: Edinburgh.
Irele, Abiola. 1993. „Négritude -Literature and Ideology“, in: Janice S. Spleth(Hg.): Critical Perspectives on Léopold Sédar Senghor. 1st. Colorado Springs, CO: ThreeContinentsPress, S. 7–29.
Senghor, Léopold Sédar. 2007. “Negritude: A Humanism of the Twentieth Century”, in: Olaniyan, Tejumola und Ato Quayson (Hg.). African Literature. An Anthology of Criticism and Theory, Blackwell Pub.: Malden, MA; Oxford, S. 195–202.
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