SoSe2010 „Brennpunkte der kritischen Rezeption afrikanischer und lateinamerikanischer Literaturen“: Nachdem ich meine Zusammenfassungen mit einer aus dem Bereich Geschichte begonnen habe, möchte ich jetzt mit Literatur anschließen. In dem nun hier zusammengefassten Seminar ging es – wie der Titel erahnen lässt – im verschiedene (literaturwissenschaftliche) Konzepte und Paradigmen und deren Auffassung und Bedeutung in Lateinamerika und Afrika.
Wie bei solch einem riesigen Themenkomplex sicher denkbar, konnten wir in unserem Seminar nur eine ganze Reihe von Ideen anreißen. In meiner Zusammenfassung werde ich nur diejenigen Themen behandeln, auf jene ich mich zur Prüfung vorbereitet habe oder wo ich während des Seminars etwas erarbeitet hatte. Der Wissens-Flicken-Teppich wird also noch mal etwas weiter zerrissen. Ich werde aber die Themen, die ich nicht weiterausführe nennen, so dass jede_r bei Interesse selbst weiterrecherchieren kann.
Der erste Schwerpunkt des Seminars behandelte Négritude und Africanía. Négritude ist ein Konzept, mittels dessen afrikanische Intellektuelle (vor allem des frankophonen Afrikas) die Eigenständigkeit des afrikanischen Kultur betonen wollten. Dadurch wurde auch ein neuer literaturwissenschaftlicher Diskurs geprägt. Die Entstehungsgeschichte lässt sich auf das Aufeinandertreffen in Paris der späten 1920er von drei Schwarzen Studenten aus drei französischen Kolonien -Aimé Césaire (1913–2008) aus Martinique, Léon Gontran Damas (1912–1978) aus Französisch Guiana und Léopold Sédar Senghor (1906–2001) aus Senegal – zurückdatieren. Der Begriff wurde unter anderem im Cahier d’un retour pays natal (1938) von Césaire geprägt (also gerade keinem afrikanischen Schriftsteller!). Doch das Konzept wurde nicht nur positiv aufgenommen. So warf Fanon der Négritude vor essentialistisch zu sein und somit statische, westeuropäische Vorurteile weiterzuschreiben und Soyinka fordete eine aggressivere Interessenvertretung der Schwarzen. Leider haben wir letztendlich wenig bis gar nicht über das aus Lateinamerika stammende Konzept der Africanía gesprochen, so dass ein Vergleich nicht möglich ist.
Der zweite Themenschwerpunkt war Hybridität und Kreolisierung. Der zweitere Begriff ist vor allem für Lateinamerika geläufig und in vielen Zusammenhängen verwandt. Aber auch dieser Begriff ist nicht einfach zu definieren und wird immer wieder verschieden verwandt. Der Begriff Criollo bezeichnet im spanischsprachigem Lateinamerika dort geborene Nachfahren von Spaniern (oder anderen Europäern). Allerdings kann das Wort mittlerweile auch Dinge mit „gemischten“ Einflüssen beschreiben (z.B. Musik) – also eine ziemlich andere Bedeutung und zwar eine, die eher auf den Begriff Hybridität zutriffft. Wir haben Hybridität im Zusammenhang mit Homo Bhabha und seinem Konzept des „Third Space“ diskutiert. Er versteht Hybridität entschieden anders, als es „normalerweise“ verstanden wird. Hybridität wird meistens als Vermischung zweier Ur-Dinge zu etwas Neuem begriffen – Mit dieser Bedeutung kommt der Begriff ja auch aus der Biologie. Bei Bhabha ist die Konnotation eine andere: Hybridität ermöglicht NICHT zwei originale Punkte zu verfolgen, aus welchen der dritte entsteht, sondern bezeichnet den „third space“, welcher anderen Positionen ermöglicht aufzukommen.
In den darauf folgenden Sitzungen haben wir uns mit den jeweils vorherschenden Paradigmen der Literaturwissenschaften Lateinamerikas und Afrikas beschäftigt: Moderne / Modernität sowie Postkolonialismus.
Moderne ist eines der wichtigsten Paradigmen in der lateinamerikanischen Literaturrezeption.Prinzipiell ist es kein eindeutiger Begriff. In erster Linie ist es ein Epochenbegriff. Verbunden mit dem Begriff ist auch Modernization, welche im Zusammenhang mit Fortschritt und Kapitalismus gesehen wird, und außerdem den Fokus auf das Individuum (Aufklärung) und Rationalität richtet. Modernism wiederum ist als kultur- und literaturwissenschaftlicher Begriff enger als „Moderne“ zu fassen und beschreibt eine Strömung 20. Jahrhundert mit Formen wie Fragmenation und Symbolismus und Vertretern wie Joyce und Flaubert. Zu Lateinamerika haben wir in diesem Zusammenhang Texte von Morales, Ashcroft und Ueckmann behandelt. Bei letztere geht es um den Zusammenhang von Hybriditätskonzepten und Modernenkritik in Lateinamerika. Dabei beschreibt sie das Konzept der Kontrapunktischen Kulturmoderne. Diese setzt voraus, dass der Lateinamerikanische Diskurs auf eine Dekonstruktion eurozentrischer Theorien von Moderne hinausläuft, da Lateinamerika per se mestizajisiert ist. Ziel ist es eine Modernitätstheorie zu entwickeln, die westlichen Monopolanspruch bei der Definition in Frage stellt und die konkrete Realität des „Zeitenmix“ in den Blick nimmt. Morales entwickelte hingegen das Konzept der peripheren Moderne und Ashcroft spricht über first born modernity. Bereits an diesen Beiträgen zeigt sich das Moderne ein durchaus vielfältig diskutiertes Paradigma ist. Zur Ergänzung einer afrikanischen Perspektive haben wir einen Text von Gikandi gelesen, denn auch wenn Moderne für afrikanische Literaturrezeption eine geringere Rolle spielt als in Lateinamerika, heißt das noch nicht, dass sie gar nicht diskutiert wird. Gikandi argumentierte, dass obwohl die „Moderne“ in den Texten ausgelassen wird, sie trotzdem vorhanden ist, da die Figuren in einem modernen Kontext entstanden sind. Er plädiert dafür dem „Moderne“ zukünftig mehr in die Analyse afrikanischer Literatur einzubeziehen.
Was Moderne als Paradigma für lateinamerikanische Literaturen ist, ist Postkolonialismus für die afrikanischen. Postkolonialismus ist ein Begriff aus den Geschichtswissenschaften, Politikwissenschaften und Kulturwissenschaften. Er ist besonders stark im anglophonen Bereich. Einflüsse zur Entstehung und verstärkten Verbreitung waren der Post-Strukturalismus in den Geisteswissenschaften (Foucault), nationale Identitäten in den ehemaligen Kolonien in Frage gestellt (z.B. durch ökonomische oder politische Hintergründe) und das Ende des Kalten Krieges. Bis vor kurzem wurde in den Lateinamerikastudien kein direkter Bezug auf Postkolonialismus genommen, da dies als anglophones Konzept abgelehnt wurde (Moderne/Postmoderne wichtigeres Paradigma). Als Beispiel für die neue Hinwendung auch im südamerikanischen Bereich haben wir einen Text von Hamilton behandelt, wodrin dieser argumentiert, dass ein Konzept von Postkolonialismus zur Analyse auch in Brasilien fruchtbar genutzt werden könnte. Darüberhinaus haben wir eine ganze Vielzahl an Texten diskutiert. Zum Beispiel: „What is post(-)colonialism?“ von Mishra und Hodges. Die beiden erklärten dort, dass Postkolonialismus Politik der Opposition und Widerstand in den Vordergrund gerückt, die Schlüsselbeziehung zwischen Peripherie und Metropole problematisiert, und auch die Vorrangstellung des Kanons und seine Standards angreift. Sie kritisieren aber auch einige Vorgangsweisen und stellen dar, was nicht vergessen werden sollte. Zur weiteren Kritik am Postkolonialismus diskutierten wir unter anderem einen Text von McClintock. Sie bemängelt, dass die binäre Opposition von Kolonisierenden und Kolonialisierten durch die Verwendung der Begriffe kolonial und postkolonial nicht überwunden, sondern auf eine temporale, ebenfalls binär strukturierte Achse verschoben wurden. Außerdem sieht sie bei dem Begriff an sich hat einen eurozentrischen Fokus, da mit dem Bezug auf „kolonial“, die europäischen Mächte als Ausgangspunkt genutzt werden. McClintock beschreibt die Gefahr, dass Prozesse etc. zu sehr vereinfacht werden und Unterschiede zwischen den ehemaligen Kolonien nicht betrachtet werden. Zu letzt stellt sie fest, dass Postkolonialismus suggeriert einen historischen Bruch, der in der Absolutheit nicht stattgefunden hat und dass der postkoloniale Diskurs allgemein die Genderprobelmatik nicht beachtet wird.
Zum Weiterlesen: In meiner kleinen Einführungsreihe zu Regionalwissenschaftlichen Debatten habe ich auch über den Text „Beginning Postcolonialism“ geschrieben. Nachzulesen hier.
Danach beschäftigten wir uns mit verschiedenen Debatten in Afrika und Lateinamerika. Zu Afrika lasen wir Texte von Chinweizu, Soyinka und Appiah, für Lateinamerika von Glissant, Brathwaite und José María Arguedas.
Unser letztes Thema war übertitelt mit Ozean / Gilroy and the Oceanic Turn und drehte sich in erster Linie um Gilroy und sein Konzept vom Black Atlantic.Gilroy beschäftigt sich mit afrikanischer Diaspora, und nimmt dabei Bezug auf die jüdische Begriffsgeschichte. Black Atlantic entwickelt er als ein Konzept, in welchem dieser ein Raum der transnationalen kulturellen Konstruktion (not roots, but routes) ist. Das Erleiden des Transatlantischen Sklavenhandels wird als gemeinsamer Fixionspunkt einer afrikanischen Diaspora betrachtet. Finley stellt dann, in dem von uns gelesenem Text, dar, wie das Konzept in der Praxis angewendet werden kann. Sie betrachtet die Ikone des Sklavenschiffes und wie sich dieses in der Vorstellungswelt des Black Atlantics verortet. Doch wie jedes Konzept ist auch das des Black Atlantics nicht frei von Kritik. So formuliert Mayer „The Dangers of Diaspora“. Sie stellt nicht das Konzept als solches in Frage, sondern kritisiert vor allem die inflationäre Nutzung des Begriffs „Black Atlantic“ und damit einhergehende Benutzung an Stellen, wo andere Konzepte gewinnbringender wären. Diese Nutzung führt zu einer Gefahr von Essentialismus führt dazu dass Differenzen innerhalb der „afrikanischen Diaspora“ nicht gesehen werden. Die imaginierte „diasporische“ Kultur lasse den Faktor der Veränderlichkeit und Flexibilität von Identitäten außen vor.
Darüber hinaus muss festgestellt werden, dass das Konzept und die Ausführungen sich oftmals auf afrikanische Diaspora in Nord-Amerika und Europa beziehen, doch kann dieses mit Sicherheit fruchtbar zum Zusammenbringen vieler Momente (auch lateinamerikanischer und afrikanischer) genutzt werden (ohne natürlich die berechtigte Kritik Mayers außenvor zu lassen).
Die jeweiligen Literaturangaben und jeweils mehr Information sind in den verlinkten Artikel zu finden.
Der Begriff Criollo bezeichnet im spanischsprechenden Lateinamerika:
die im Lande geborenen Nachfahren von spanischen (oder europäischen) Eltern