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SoSe2010 „Geschichte der Strafe in Afrika“: Gestern hatte ich das letzte Seminar für dieses Semester. Der meist gehörte Satz diese Woche ist damit: „Schönen Sommer noch!“. Aber nur weil vorlesungsfreie Zeit ist, wird es auf diesem Blog natürlich nicht ruhig. Hier kommt nun erstmal meine Zusammenfassung zum Thema „Street Justice“.

Beide vorliegenden Texte beschäftigen sich mit der sogenannten ‚Street Justice‘ am Beispiel Südafrika. ‚Street Justice‘ beschreibt eine Strafform, die jenseits des Staates liegt, die durch nicht staatlich befugte Bürger „auf der Straße“ vollzogen wird. Auf die Frage in wie weit es sich tatsächlich um Strafmaßnahmen, als Sanktionen für ein ganz konkretes Fehlverhalten, handelt und ob diese Aktionen spontan ausgeführt werden,  haben die Texte verschiedene Antworten.

Jean und John Comaroff sind beide Professoren an der Universität von Chicago für Anthropologie und Sozialwissenschaften. Ihr regionaler Schwerpunkt liegt auf Südafrika, insbesondere der Norden. So befasst sich auch der vorliegende Artikel „Policing Culture, Cultural Policing: Law and Social Order in Postcolonial South Africa“ nicht wie im Titel angedeutet mit dem gesamten Südafrika, sondern in erster Linie mit der Northern Province. Sie diskutieren anhand von Untersuchungen in dieser Region den Anstieg von so genannten „occult-related violence“ und dem damit einhergehenden „cultural policing“. Sie argumentieren, dass diese beiden Phänomene zusammenhängen mit strukturellen Widersprüchen, welche das post-Apartheit Südafrika auszeichnen (aber auch für andere Postkolonien zutreffen): den Widerspruch zwischen universellem Recht und kulturellem Relativismus. Um diesen Widerspruch zu überkommen, wird oftmals die Grenzlinie zwischen Kultur und Gewalt gezogen. So ist der Glaube an Hexerei durch die Verfassung geschützt, vergeltende Gewalt gegen Hexen aber verboten. Wenn Personen sich gegen Hexerei währen wollen, ist es für sie kompliziert sich an offizielle Stellen zu wenden und eine Klage anzustrengen, aus diesem Grund handeln sie selbst, werden mit diesen Taten zu meist straffällig. Werden sie angeklagt, verteidigen sie sich oft mit Selbstverteidigung und „afrikanischer Tradition“.

Jean und John Comaroff sehen den – zu mindestens von der Bevölkerung wahrgenommen – Anstieg an Zauber/ Okkulten in einem engen Zusammenhang mit wirtschaftlichen Bedingungen. So beschreiben sie, dass die ökonomischen Verhältnisse auf dem Land zu einer „bitter generational, gendered opposition“ (Comaroff, S.526) geführt haben. Aus eben diesem Grund sind viele der Opfer ältere Frauen, die Täter eher junge Männer. Diese sind besonders betroffen von Arbeitslosigkeit etc. und suchen Gründe für ihre Probleme in der Hexerei (ähnlich wie anderswo in purem Pech oder Missgeschicken). Hexerei und Personen, die dieser verdächtigt werden oder aufgrund von Zuschreibungen verdächtig gemacht werden, werden so zum Sündenbock.

In ihrem Aufsatz beschreiben die Comaroffs eine Vielzahl von Aspekten der ‚Street Justice‘ in Bezug auf Hexerei. Sie zeigen auf, dass das die vermehrte Wahrnehmung von Hexerei sowie auch der Reaktion darauf, keineswegs spontan ist, sondern konkret mit eine Reihe von Faktoren wie dem Nationalstaat, dem Rechtssystem und der Ökonomie zusammen hängen. Auch wird in dem Artikel deutlich, dass die Verfolgung von „Hexen“ nicht immer als Strafe für ein kulturell anerkanntes Verbrechen gesehen werden kann.

Karen MacGregor betrachtet in ihrem Zeitungsartikel „Guilty and innocent alike fall victim to ‚neclace‘ justice by South African mobs“ vollkommen andere Aspekte. Sie erläutert, wie „wütende Bürger“ Verbrechen, wie beispielsweise Diebstahl, direkt und sehr gewaltreich „ahnden“. Sie beschreibt eher einen spontanen Strafakt, der in dem Artikel auch damit erklärt wird, dass die Polizei überfordert scheint und diese Art von direkter Strafe durch die Bürger für diese einen sofortigen Effekt zeigt.

Beide Texte zusammen zeigen ein diverses Bild von ‚Street Justice‘ auf. Gleich ist aber bei beiden, dass, obwohl ‚Street Justice‘ eine Strafform ist, die nicht vom Staat ausgeführt wird, sie doch nicht getrennt von der Lage und Situation des Staates aus gesehen werden kann. So sind auch die „spontanen“ Ausbrüche, die MacGregor beschreibt, zurückzuführen auf ein größeres strukturelles Problem. In ihrem Artikel wäre darüber hinaus auch interessant zu wissen gewesen, wer genau Opfer und Täter sind und wann es zu dieser Art von ‚Street Justice‘ kommt und wann nicht, da das so genannte ‚neclace‘-Prozedere in den letzten Jahren stark im Zusammenhang mit Einwanderer-feindlichen Aktionen betrachtet wurde.

Literatur

Comaroff, Jean und John Comaroff. 2004. „Policing Culture, Cultural Policing: Law and Social Order in Postcolonial South Africa“, in: Law & Social Inquiry, Vol. 29, No. 3, 513-545.

MacGregor, Karen. 2001. „Guilty and innocent alike fall victim to ‚neclace‘ justice by South African mobs“, in: The Independent, 3. März 2001.

3 Kommentare zu “Eine spontane Strafe? Die ‚Street Justice‘

  1. Pingback: Zusammenfassung: Geschichte der Strafe in Afrika (20. Jahrhundert) « Afrika Wissen Schaft

  2. Der Artikel erinnert mich an eine Beinahe-Lynchjustiz an dem südafrikanischen Rapper Jub Jub, der sich Ende Februar/ Anfang März ein Straßenrennen in Soweto geliefert hatte, bei dem vier Schulkinder getötet wurden. An Spontaneität mag ich z.B. in dem Fall nicht glauben, weil aufgebrachte Menschen später vor dem Gerichtsgebäude drohten, Jub Jub zu töten, falls er auf Kaution freigelassen würde.

    Ebenso fand ich es interessant zu lesen (ich glaub, das war eine Studie des South African Institute of Race Relations), dass die xenophoben Ausschreitungen 2008 offenbar nur da auftraten, wo es keine gefestigten lokalen Machtstrukturen gab. Da wurde der Verdacht geäußert, dass die Ressentiments gegen Ausländer befeuert wurden, um sich deren Geschäfte unter den Nagel reißen zu können.

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