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SoSe2010 „Geschichte der Strafe in Afrika“: Für die morgige Sitzung habe ich hier die beiden zu lesenden Texte zusammengefasst. Die Frage: Hat Foucault auch in Afrika Relevanz? Passen seine Thesen von „Überwachen und Strafen“ auf die kolonialen Strafpraxen?

Taylor C. Sherman ist eine Wissenschaftlerin, die sich vorwiegend mit Themen wie Staatsgewalt, Strafe, Entwicklung im Indien Mitte des 20. Jahrhunderts beschäftigt.  In ihrem Beitrag im History Compass  befasst sie sich mit der wissenschaftlichen Entwicklung zur Thematik Strafe in den europäischen Kolonien. Dabei beschäftigt sie sich mit der starken Fokussierung auf Foucault bei der von ihr unterschiedenen ersten Generation von Forschern. Sie setzt dieser Fokussierung einen eigenen Forschungsrahmen entgegen. Shermans Text steht ein Auszug aus Nelson Mandelas Autobiografie „Der lange Weg zur Freiheit“ entgegen. In diesem beschreibt Mandela, ehemaliger Anti-Apartheid-Kämpfer Südafrikas und von 1994 bis 1999 der erste schwarze Präsident des Landes, die systematische Disziplinierung und Demütigung der Gefangenen auf Robben Island.

Sherman stellt in ihrem Text anfangs fest, dass die wissenschaftliche Thematisierung von Zwangstechniken des kolonialen Staates erst in den letzten 20 Jahren stattgefunden hat. Trotz dieser verhältnismäßig kurzen Zeitspanne kann man bereits die zwei wissenschaftlichen Generationen unterscheiden. Sherman kommt bei der Betrachtung des Wirkens der ersten Generation zu der Schlussfolgerung, dass Foucaults Thesen aus „Überwachen und Strafen“ nicht zu den Kolonisien passen. Die erste Generation hatte sich vor allem auf Gefängnisse und Strafkolonien als Praxen kolonialer Strafe fokussiert. Sie betrachten so zum Beispiel die Wichtigkeit der Arbeit von Sträflingen, welche eine entscheidende Methode bei der Bestrafung und Besserung dieser war. Darüber hinaus untersuchten sie die Manifestierung von ethnischen Unterschieden, Klasse, Geschlecht und andere Kategorien durch verschiedene Praxen der Gefängniskultur und der Beziehung zwischen Häftlingen und Wächtern, welche oft aus dem lokalen Umfeld generiert wurden. Ein weiteres Thema war die Nutzung der Gefängnisse für politische Zwecke: Da politischer Dissens als kriminelle Aktivität eingestuft wurde, war das koloniale Gefängnis ein fester Bestandteil, wie man politischen Aktivitäten entgegentrat. Sherman würdigt diese Erkenntnisse durchaus, wirft der ersten Generation aber vor, dass sie alle ihre Entdeckungen an Foucaults „Überwachen und Strafen“ maßen. Das disziplinarische Projekt, welches Foucault für Frankreich sieht, setzte sich aber entweder nicht durch, oder nahm eine andere Richtung an in den Kolonien. Sherman schlussfolgert, dass es einen neuen konzeptuellen Rahmen braucht und schlägt diesen gleichsam vor. Sie nimmt als Grundannahme vorweg, dass die Rechtssysteme in den Kolonien wenig zu tun hatten mit der allgemeinen Vorstellung von Rechtsstaatlichkeit. Koloniale Strafen sieht Sherman als ein „coercive network“. Dieser Rahmen erkennt an, dass es nicht um eine einzige Strafpraxis geht, dass Strafen nicht nur vom Staat sondern auch Mittelspersonen, privaten Personen etc. durchgeführt wurden und dass es Lücken im „Netz“ gab. Für Sherman impliziert der Begriff nicht, dass das System schlüssig und in sich geschlossen war. Sie bemerkt aber, dass  Sanktionen immer Teil einer größeren imperialen Agenda waren. Abschließend stellt Sherman fest, dass dieser neue Rahmen nur der Anfang sein kann für weitere Forschungen und zeigt gleich eine ganze Reihe offener Fragen auf.

Nelson Mandela beschreibt in seinem Autobiografieauszug detailliert sein Sträflingsleben auf Robben Island, der Gefängnisinsel vor Kapstadt. Er beschreibt dabei interessanterweise viele Praktiken, welche die von Sherman als erste Generation bezeichnete Gruppe untersucht hatten. So beschreibt er zuerst, welche Rolle „race“ bei der Zuteilung von Privilegien hatte und welche große Rolle die Sträflingsarbeit in der Gefängnisroutine spielte. Die verschiedenen Praktiken der Disziplinierung, welche Mandela beschreibt, erlauben eine Untersuchung, die die Thesen Foucaults als Hintergrund beinhalten.

Beide Texte zusammen besehen zeigen, dass eine alleinige Betrachtung der kolonialen Strafen mit einer engen Einbeziehung Foucaults nicht zielbringend ist. Sie legen aber auch dar, dass eine Reihe von Foucaults Ideen auch in Afrika Relevanz haben und bei der Analyse förderlich sein können.

Literatur

Sherman, C., Taylor, Tensions of Colonial Punishment: Perspectives on Recent Developments in the Study of Coercive Networks in Asia, Africa and the Carribbean, in: History Compass 7/3, 2009, 659-677.

Mandela, Nelson, Der lange Weg zur Freiheit, Fischer, Frankfurt/Main 2000 [1994]m S.513-550.

Edit:

Hier habe ich noch einen Nachtrag zu diesem Text verfasst.

4 Kommentare zu “Foucault in Afrika?

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